Gemeinsame Presseaussendung von VIMÖ, Plattform Intersex Österreich & HOSI Salzburg, 13.11.2017:
Nach der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts über die Schaffung einer dritten Option beim Geschlechtseintrag am letzten Mittwoch steht auch Österreich unter Zugzwang. Selbstvertretungsorganisationen fordern rechtliche Anerkennung, aber mahnen Vorsicht bei der Umsetzung ein.
(v.l.n.r.: Volksanwalt Günther Kräuter, Tobias Humer, Alex Jürgen)
Die Forderung des deutschen Bundesverfassungsgerichts einen zusätzlichen Geschlechtseintrag zu schaffen hat in Österreich zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Nach den Empfehlungen der Volksanwaltschaft und der Bioethikkommission nehmen sich nun auch SPÖ und NEOS dem Thema an. Die Parteien haben angekündigt, eine Initiative im Nationalrat zu starten. Die Selbstvertretungsorganisation VIMÖ begrüßt dies, mahnt aber zur Vorsicht – die Umsetzung muss gut durchdacht sein.
Das Thema ist nicht neu. In Österreich versucht der Intersex-Aktivist Alex Jürgen seit 2016 auf juristischem Weg den eigenen Geschlechtseintrag in Geburtsurkunde und Pass auf „inter“, „anderes“ oder „X“ berichtigen zu lassen. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshof wird für 2018 erwartet. Die Volksanwaltschaft appellierte nun an den Gesetzgeber, nicht auf diese Entscheidung zu warten. Auch die Bioethikkommission reagierte auf die deutsche Rechtssprechung und veröffentlichte am Donnerstag erste Auszüge aus ihren Empfehlungen zum rechtlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Intergeschlechtlichkeit. Darin unterstreicht die Bioethikkommission die Notwendigkeit einer dritten Option im Geschlechtseintrag. Die Menschenrechtsinitiativen VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und HOSI Salzburg nehmen diese erste Stellungnahme grundsätzlich positiv auf und fordern ein, dass bei der Eintragung des Personenstands Selbstbestimmung und Freiwilligkeit in den Mittelpunkt gestellt werden.
„Es ist höchste Zeit, die Rechte jeder Person anzuerkennen, die sich nicht ausschließlich männlich oder weiblich identifiziert, unabhängig von ihren Geschlechtsmerkmalen”, so Tobias Humer, Obmensch des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ). „In einer Gesellschaft, die über weite Strecken nur zwei Geschlechter anerkennt, muss allerdings sichergestellt werden, dass keine Person zu einem alternativen Geschlechtseintrag gezwungen wird. Der Geschlechtseintrag muss freiwillig sein und auf der Selbstbestimmung der jeweiligen Person beruhen.”
„Was nicht vergessen werden darf: Eine dritte Option beim Geschlechtseintrag kann nur eine von vielen Maßnahmen sein, um intergeschlechtlichen Menschen zu ihren Rechten zu verhelfen. Es fehlt zum Beispiel immer noch der Schutz vor nicht-konsensuellen geschlechtsverändernden, medizinischen Behandlungen und auch die Antidiskriminierungsgesetzgebung muss ausgeweitet werden“, so Tinou Ponzer (VIMÖ). „Intergeschlechtliche Menschen werden auch 2017 von der Medizin, dem Gesetz und der Gesellschaft vereinnahmt und fremdbestimmt: Wir sprechen uns klar gegen geschlechtsnormierende Eingriffe an intergeschlechtlichen Körpern aus! Eine dritte Option würde der Thematik helfen, aus der Tabuisierung zu treten und Realität anzuerkennen“, betont Gabriele Rothuber, Intersex-Beauftragte der HOSI Salzburg, abschließend.
APA-OTS, 13.11.2017, Presseaussendung