Menschenrechtsgerichtshof verurteiltÖsterreich zu einer Geldstrafe von € 61.000,-

Mit einem gestern bekannt gegebenen Urteil (Woditschka & Wilfling gegen Österreich) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Österreich neuerlich wegen der jahrelangen strafrechtlichen Verfolgung homo- und bisexueller Männer verurteilt. Die Aufhebung des § 209 ändere nichts daran, dass die nach dem antihomosexuellen Sonderstrafgesetz Verurteilten nach wie vor Opfer sind. Die Republik Österreich muß den Beschwerdeführern EUR 61.000,– Schadenersatz zahlen.Die Strafverfahren gegen die beiden Beschwerdeführer erregten seinerzeit in Österreich großes Aufsehen.

Michael Woditschka wurde im Juli 2000 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilt, weil er als 19jähriger mit einem 16jährigen sexuelle Kontakte hatte. Die Kontakte wurden bekannt, nachdem der 16jährige einige Monate nach der Beendigung ihrer Beziehung von Gendarmeriebeamten überrascht wurde als er mit seinem neuen Freund in einem Auto intim war. Die Gendarmeriebeamten befragten den Jugendlichen daraufhin nicht nur nach Kontakten mit seinem damaligen Partner sondern erforschten sämtliche sexuellen Beziehungen, die der homosexuelle Jugendliche in den letzten Jahren mit Männern eingegangen war. Dabei nannte er auch den nunmehrigen Beschwerdeführer. Wobei der 16jährige betonte, dass er sich bereits seit seinem 14. Lebensjahr seiner Homosexualität sicher ist, und es stets er selbst gewesen war, der die Initiative zu den Kontakten mit den älteren Partnern gesetzt hat. An der Strafbarkeit und der Verurteilung änderte das nichts.

Bei Wolfgang Wilfling wiederum handelt es sich um den Verurteilten im berüchtigten Liebesbrief-Fall. Das Landesgericht Wiener Neustadt verurteilte ihn im Sommer 2001 wegen seiner Liebesbeziehung mit einem 17jährigen zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, Der 36jährige Beschuldigte und sein 17jähriger Freund lernten einander über das Internet kennen und lieben. Es entwickelte sich eine innige Liebesbeziehung, die insb. für den Jugendlichen die Erfüllung seiner sexuellen Orientierung in einer von ihm seit langem ersehnten festen Beziehung bedeutete. Als die Mutter des Jugendlichen, die seine Homosexualität nicht zu akzeptieren vermochte, einen herzzerreißenden Liebesbrief fand, erstattete sie Strafanzeige, woraufhin der nunmehrige Beschwerdeführer schlussendlich in Haft genommen worden ist. Sowohl der Jugendliche als auch seine Schwester erklärten bei ihren Einvernahmen gegenüber den Gendarmeriebeamten, dass sie nicht verstehen könnten, warum er sich nicht verlieben dürfe, in wen er wolle und dass das Gesetz schleunigst geändert gehörte. Selbst die Mithäftlinge des 36jährigen und die Justizwachebeamten bekundeten Unverständnis gegenüber seiner Inhaftierung. Die Mutter hingegen hat ihren Sohn misshandelt und zu mehreren Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern geschleppt, die sich allerdings samt und sonders weigerten, ihn wegen seiner Homosexualität zu behandeln. Die Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Niederösterreich verstieg sich gar zu der Behauptung, dass sie die Ermittlungen „auf Grund der Schwere der Straftat“ (!) nicht dem zuständigen Gendarmerieposten überlassen könnte und diese selbst übernehmen müsste. Der 17jährige selbst hat sich an die Homosexuellenbewegung gewandt und um Hilfe für seinen inhaftierten Freund ersucht. Wolfgang Wilfling befand sich ein Monat in Untersuchungshaft. Durch die Haft musste der Unternehmer in der Folge Konkurs anmelden.

Aufhebung des § 209 beendete nicht die Diskriminierung

Die Diskriminierung von Homo- und Bisexuellen qualifizierte das in Menschenrechtfragen höchste Gericht Europas als ebenso schwerwiegend wie Diskriminierungen auf Grund von Rasse, Herkunft, Hautfarbe oder des Geschlechts. Dabei stellten die Straßburger Richter auch ausdrücklich fest, daß die Aufhebung des § 209 an dieser Diskriminierung nichts geändert hat, weil Österreich nie anerkannt hat, dass § 209 und die darauf gegründete Verfolgung homo- und bisexueller Männer eine Menschenrechtsverletzung war und die Opfer nicht entschädigt hat. Auch der Verfassungsgerichtshof habe die Verstöße gegen die Europäische

Menschenrechtskonvention weder anerkannt noch bereinigt.

Die Republik Österreich muß den drei Beschwerdeführern mehr als EUR 61.000,– Schadenersatz zahlen. An Beitrag zu den Anwaltskosten als auch an Ersatz für die Belastungen durch die Strafverfahren, insb. durch das an die Öffentlichkeit Zerren intimster Details ihres Privatlebens; im Fall Wilfling auch für die Haft. Die Verfahren waren für die Männer schwer erschütternde Ereignisse in ihrem Leben mit nach wie vor erheblichen emotionalen und psychischen Folgen, so die Richter. Derzeit sind vor dem Menschenrechtsgerichtshof noch weitere sieben Beschwerden von Opfern des § 209 anhängig.

Zwei Klassen von Opfern

Die Plattform gegen § 209 fordert nun die rasche und vollständige Entschädigung und Rehabilitierung aller Opfer des § 209. Trotz Aufhebung des § 209 im August 2002 erfolgte nicht nur keine Entschädigung der zahlreichen Opfer sondern sind ihre Verurteilungen nach wie vor im österreichweiten Strafregister vorgemerkt.

Die beiden Beschwerdeführer können nun mit dem Urteil aus Straßburg in Österreich die Erneuerung ihrer Strafverfahren und die Aufhebung ihrer Urteile erreichen. Eine derartige Rehabilitierung können aber nur jene Opfer des § 209 erlangen, die sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben. Alle die das nicht getan haben, bleiben auf Jahre hinweg wegen eines Sexualdeliktes vorbestraft und erhalten keinerlei Wiedergutmachung, weder für den seelischen Schmerz noch für ihre Verteidigungskosten und die (vielfach erfolgte) Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz.

„Wir rufen die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und die Opfer des § 209 rasch zu entschädigen und zu rehabilitieren“, sagt Dr. Helmut Graupner, Sprecher der Plattform gegen § 209 und Anwalt der beiden Beschwerdeführer, „Es darf nicht sein, dass jene, die zu schwach waren, um sich erfolgreich zu wehren, nun als Opfer zweiter Klasse noch einmal unter die Räder kommen“.

In der überkonfessionellen und überparteilichen Plattform gegen § 209 haben sich über 30 Organisationen zusammengeschlossen, um gegen das in § 209 StGB verankerte diskriminierende zusätzliche Sondermindestalter von 18 Jahren ausschließlich für homosexuelle Beziehungen zwischen Männern (zusätzlich zur allgemeinen, für Heterosexuelle, Lesben und Schwule gleichermaßen gültigen Mindestaltersgrenze von 14 Jahren) anzukämpfen. Der Plattform gehören neben nahezu allen Vereinigungen der Homosexuellenbewegung auch allgemeine Organisationen an, wie Aids-Hilfen, die Kinder- und Jugendanwaltschaften Tirol und Wien, die Österreichische Hochschülerschaft, die Bewährungshilfe, die Österreichische Gesellschaft für Sexualforschung u.v.a.m.. Nach der Aufhebung des § 209 StGB dringt die Plattform auf die Entlassung aller Gefangenen und die Rehabilitierung und Entschädigung aller § 209-Opfer und beobachtet die Vollziehung der § 209-Ersatzbestimmung, § 207b StGB.

Presseaussendung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:

http://www.echr.coe.int/Eng/Press/2004/Oct/Chamberjudgments211004.htm

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Wortlaut:

http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/portal.asp?sessionId=753425&skin=hudoc-en&action=request

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