Hier die heutige Presseaussendung von VIMÖ (Verein intergeschlechtlicher Menschen Österreich), der Plattform Intersex Österreich und der HOSI Salzburg anlässlich des heutigen Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshof:
Ein weiterer Geschlechtseintrag im Personenstandsregister neben weiblich und männlich
VfGH beschließt amtswegige Prüfung des Personenstandsgesetzes: Sind Betroffene im Recht auf geschlechtliche Identität beschränkt?
Nach einer Klage der intergeschlechtlichen Person Alex Jürgen* beschließt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einem heute veröffentlichten Prüfungsbeschluss die amtswegige Prüfung des Personenstandgesetzes. Damit äußert der VfGH berechtigte Zweifel an der aktuellen Handhabung des Gesetzes, wonach das Geschlecht einer Person zwingend als „männlich“ oder „weiblich“ anzugeben ist. Diese Praxis könnte gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, da sie intergeschlechtlichen Menschen wie Alex Jürgen* einen wahrheitsgemäßen Eintrag des eigenen Personenstands verwehren. Denn: Alex Jürgen* ist nicht „männlich“ oder „weiblich“, sondern eben als intergeschlechtlich zur Welt gekommen.
Für die Menschenrechtsinitiativen VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und die HOSI Salzburg ist der heutige Prüfungsbeschluss ein Schritt in die richtige Richtung.
„Wir freuen uns sehr, dass der VfGH beschlossen hat, das aktuelle Personenstandsgesetz zu hinterfragen – und dass die Richter*innen nun prüfen werden, ob das Recht auf individuelle Geschlechtsidentität darin beschnitten wird“, so Tobias Humer, Obmensch des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreich, „Alle intergeschlechtlichen Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht klar männlich oder weiblich ist, dürfen also weiter hoffen.“
“Der Verfassungsgerichtshof nimmt in seinem Beschluss auf die Stellungnahme der österreichischen Bioethikkommission, den Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts und Stellungnahmen internationaler Gremien wie der europäischen Grundrechteagentur und dem Kommissar für Menschenrechte Bezug“, führt die Rechtsexpertin und Obfrau der Plattform Intersex Österreich Eva Matt aus. „Die Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof vorläufig in der geltenden Regelung des Personenstandgesetzes erblickt und die nun amtswegig überprüft werden, wurden auch von den genannten Stellen geäußert und führten dort zu Empfehlungen, die konsequent gedacht zur rechtlichen Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen führen müssen. Ich gehe davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung zum selben Ergebnis kommen wird und das österreichische Personenstandsrecht entsprechend den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Regelung enthalten wird, die es allen Menschen ermöglicht, ihre Geschlechtsidentität adäquat und selbstbestimmt zum Ausdruck zu bringen.“
Eine positive Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der Klage von Alex Jürgen* wäre nicht nur rechtlich ein riesiger Erfolg, sondern auch wichtig für die gesellschaftliche Sichtbarkeit von Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht „männlich“ oder „weiblich“ ist. Für diese Menschen geht es um Respekt und Wertschätzung im Alltag, im Beruf, in der Schule, in sozialen Situationen, im öffentlichen wie im privaten Umfeld. Denn oft sind Menschen, die aus den klassischen Geschlechts-Kategorien fallen, mit Unwissen, Ablehnung, Zurechtweisung (z.B. am Gang zur Toilette) oder sogar mit körperlicher Gewalt konfrontiert. „Auch 2018 findet immer noch Zwangs-Medikalisierung statt“ so Gabriele Rothuber, Intersex-Beauftragte der HOSI Salzburg. „Wir sprechen uns klar gegen fremdbestimmte geschlechtsnormierende Eingriffe an intergeschlechtlichen Körpern aus und freuen uns, dass auch der Verfassungsgerichtshof diesen wichtigen Aspekt betont! Eine dritte Option wird der Thematik helfen, aus der Tabuisierung zu treten und die Realität, die es schon immer gab, anzuerkennen.“
Es braucht einen dritten Geschlechtseintrag und viele weitere Maßnahmen auf gesellschaftlicher Ebene, damit intergeschlechtliche Menschen Isolation, Ängste, Schamgefühl und gesellschaftliche Unsichtbarkeit überwinden können. „Ich freue mich, dass es aussieht, als ginge es in eine gute Richtung“, meint Alex Jürgen* abschließend.