Sensationelles Urteil: Verwaltungsgerichtshof hebt Operationszwang für Transsexuelle auf Rechtskomitee LAMBDA: „Eine historische Entscheidung“
Wie soeben bekannt wurde hat der Verwaltungsgerichtshof am 27. Februar den vom Innenministerium etablierten Operationszwang für transsexuelle Menschen als rechtswidrig erklärt. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente Frauen und Männer, spricht von einer historischen Entscheidung.
Eine rechtliche Anerkennung im neuen Geschlecht gab es bisher, im Gegensatz zu anderen Ländern (Spanien, Grossbritannien, Ungarn, Schweden und Finnland), für (Mann-zu-Frau-)Transsexuelle in Österreich nur dann, wenn sie ihre Genitalien entfernen lassen. Nicht alle transsexuellen Menschen können jedoch diesen Operationszwang erfüllen, sei es wegen ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes oder ihrer sozialen Situation.
Der Operationszwang, also das Abhängigmachen des Geschlechtswechsels von einer genitalverändernden Operation ist heute überholt und nicht mehr Stand der Wissenschaft. Ja er wird im Gegenteil heute als Menschenrechtsverletzung angesehen. So sprechen die im November 2006 von führenden internationalen Menschenrechtsexpertinnen und -experten auf einer Konferenz im indonesischen Yogyakarta entwickelten Yogyakarta-Prinzipien eine klare Sprache: „Niemand darf, als Voraussetzung der rechtlichen Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität, zu medizinischen Verfahren, einschliesslich einer genitalverändernden Operation …, gezwungen werden“ (http://www.yogyakartaprinciples.org).
In diesem Sinne verlangt auch der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates vom 12.12.2007, dass die rechtliche Anerkennung des Geschlechtswechsels nicht von einer genitalverändernden Operation abhängig gemacht wird (https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1225283&Site=CommDH&BackColorInternet=F, par. 57).
Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Operationszwang dem aktuellen Stand der Wissenschaft widerspricht: „Für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung sieht die Fachliteratur deshalb keine haltbaren Gründe mehr“ (BVerfG, 1 BvL 3/03 vom 6.12.2005, 25, 66).
Schliesslich ist der Operationszwang auch deshalb diskriminierend, weil Frau-zu-Mann-Transsexuelle keine genitalverändernde Operation vornehmen müssen.
Ständige Bloßstellung oder Gefahr der Verelendung
Die Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde als Mann geboren und lebt, nach Hormontherapien und kosmetischen Massnahmen, bereits seit Jahren sozial integriert als Frau. Dennoch wird ihr die Annahme eines weiblichen Vornamens verwehrt und erhält sie keine Dokumente, die ihrem gelebten Geschlecht und ihrem äußeren Erscheinungsbild entsprechen. Das Vorzeigen aller für das Alltagsleben wichtigen Dokumente (wie Reisepass, Personalausweis, Meldezettel, Geburtsurkunde etc.) offenbaren ihre Transsexualität und zwingen sie regelmäßig zum (bloßstellenden und oft erniedrigenden) Outing.
Die einzige Begründung für die Verweigerung eines weiblichen Vornamens und entsprechender Dokumente: sie hat sich keiner Operation zur Entfernung ihrer Genitalien unterzogen.
Eine genitalverändernde Operation kann die Antragstellerin jedoch nicht durchführen, weil der damit verbundene langdauernde Krankenstand bei ihrer leitenden Funktion in der Privatwirtschaft mit Sicherheit mit der Beendigung ihres Dienstverhältnisses verbunden wäre. Der Verlust des Arbeitsplatzes würde sie der Gefahr der sozialen Desintegration und Verelendung aussetzen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat dem nun Rechnung getragen und ausgesprochen, dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für die Änderung des rechtlichen Geschlechts transsexueller Personen ist (VwGH 27.02.2009, 2008/17/0054).
„Österreich ist damit das sechste Land Europas, das den Operationszwang aufgehoben hat“, sagt der Präsident des RKL und Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin Dr. Helmut Graupner, „Wir zollen den RichterInnen unseren größten Respekt für diese mutige, menschliche und historische Entscheidung.“.
Das 1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer. In seinem Kuratorium vereinigt es so prominente Mitglieder wie Altbundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer, NRPräs. Mag. Barbara Prammer, die vormalige Justizministerin Mag. Karin Gastinger, den Ehrenpräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates NRAbg.a.D. Peter Schieder, Volksanwälting NRAbg.A.D. Mag. Terezija Stoisits, den vorm. Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Dr. Erik Buxbaum, die vorm. Präsidentin der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter Dr. Barbara Helige, die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Elisabeth Rech, den Vorstandsvorsitzenden der D.A.S.-Rechtsschutzversicherung Dr. Franz Kronsteiner, den Präsidenten des Weissen Rings Dr. Udo Jesionek, den Generalsekretär von Amnesty International Österreich Mag. Heinz Patzelt und die bekannten Menschenrechtsexperten Dr. Lilian Hofmeister und Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak, die Verfassungsexperten Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner, Univ-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer und Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin, den renommierten Kinder- und Jugendpsychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich und die Kinder- und JugendanwältInnen von Wien DSA Monika Pinterits und Dr. Anton Schmid, die Sexualwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner, Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner und Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala, den Theologen Univ.-Prof. Dr. Kurt Lüthi, Life-Ball-Organisator Gery Keszler u.v.a.m. Das 15jährige Bestehen des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) wurde am 2. Oktober 2006 mit einem historischen Festakt im Nationalratssitzungssaal des Parlaments in Wien gefeiert. Dieser weltweit ersten Ehrung einer homosexuellen Bürgerrechtsorganisation in einem nationalen Parlament wohnten unter den über 500 TeilnehmerInnen auch höchste RepräsentantInnen aus Justiz, Verwaltung und Politik bei (http://www.rklambda.at/festakt/index.htm).
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