Neil Jordans Filmheld Patrick Braden nennt sich Kitten („Pussy“ im englischen Original). Das Findelkind ist Folge des Fehltritts des Dorfgeistlichen mit seiner jungen Haushälterin, die nach der Geburt untertaucht. Patrick wächst bei der trinkfesten Chefin des Dorf-Pubs auf. Schon im zarten Alter entdeckt er die Vorliebe für die Kleider seiner Stiefschwester.
Die Drohung seiner Stiefmutter, ihn so durch das Dorf zu jagen, ist für den Jungen ein heißes Versprechen. Allerdings überfordert er mit seinem Verbrauch von Mascara die dörfliche Umgebung. Als Transvestit wird er von der Schule gewiesen. Er verlässt das bigotte Irland und sucht im London der 70er Jahre nach seiner leiblichen Mutter. Die Hochblüte des Glam-Rock kommt seinen Neigungen entgegen. Er begegnet einem Rocksänger, mit dem er Sex hat. Unglücklicherweise „entsorgt“ er auch Waffen, die für den irischen Freiheitskampf bestimmt sind. In der Gesellschaft von Mördern und Huren taucht er unter, später arbeitet er als Assistent eines Zauberers und trifft schließlich nicht nur seine Mutter, sondern auch seinen Vater.
Nach THE BUTCHER BOY ist BREAKFAST ON PLUTO Neil Jordans zweite Verfilmung eines Romans von Patrick McCabe. In 36 Episoden, mit vielen Popsongs aus den 50er, 60er und 70er Jahren untermalt, zeichnet er ein Porträt eines Außenseiters:
Ganz nebenbei ist der Film authentisches Zeitstück, welches historische Ereignisse wie Terroranschläge in Irland und London subtil in die Geschichte einbaut. Der wunderbare Soundtrack und Cillian Murphy als beeindruckender Hauptdarsteller geben dem Film große Intensität. Lust an der Verkleidung und konsequente Verweigerung bürgerlicher Normalität sind anti-ideologische Strategien der Selbstbehauptung. Dieses hochsensible Arthouse-Movie ist virtuoses Feuerwerk und Hommage an die Popkultur der 70-er Jahre.
Neil Jordan (THE CRYING GAME, INTERVIEW WITH A VAMPIRE) schätzt barocke Schelmenromane: Der Junge vom Land liegt mit seinem schlichten und naiven Gemüt in der Tradition eines Hans im Glück, der auf der Suche nach seiner Mutter auf einem Narrenschiff durch den ideologischen Dschungel des letzten Jahrhunderts navigiert. Patrick ist mit seinen Neigungen eigentlich glücklich, einzig die lange erfolglose Suche nach Vater und Mutter belastet ihn. Er kann seine Neigungen befriedigend ausleben, selbst wenn er sich prostituiert. Man hält ihn sogar für einen IRA-Terroristen. Er weiß jedoch, dass er sich in keiner der gängigen Ideologien wieder finden kann.
Der romantische wie brutale Film ist magisches Märchen und Bildungsroman: schräg, süffig, zart und witzig. Mit leichter Hand integriert Jordan das Thema einer unterschiedlichen sexuellen und sozialen Identität in großes Kino. Was ist dieses Patrick wirklich? Homosexuell, Transvestit oder nur eine Tunte? Diese Frage erübrigt sich, denn quälende Selbstfindung ist nicht Sache von Mr. Jordan: Sein Held hat weiß genau, wer er ist. Es sind die anderen, die damit zurechtkommen und sich verändern müssen. Dass sie das im Verlauf des Films immer besser tun, spiegelt den unerschütterlichen Glauben des Regisseurs Jordan an die Kraft des Kinos wider.
Breakfast on Pluto zaubert eine bunte, schillernde Welt auf die Leinwand: Kittens Umgebung passt sich zunehmend an dessen schrägen Outfits an. Ein bunter Vogel wie er überlebt in dieser schrecklich “ernsten” Welt, wo Terroristen mit Bomben Menschen in die Luft jagen und die IRA in Irland noch so mächtig wie der Katholizismus ist. Er ist weder Heiliger, noch Märtyrer oder Chorknabe. Wie Voltaires Candide überlebt er manche Gefahren, weil er nie aufhört, an die beste aller Welten zu glauben. Neil Jordan steigert sich mit Glamrock und Glitzerfummel zu komödiantischer Höchstform, wobei er mit Stars wie Liam Neeson, Stephen Rea und Bryan Ferry wirkungsvoll unterstützt wird. Der entfesselte Cillian Murphy spielt alle Nuancen dieses vielschichtigen Charakters voll aus.
Peter Jobst